Prof. Dr. Rolf Sobottke // Rhein-Maas Klinik
Der Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die Wirbelsäulenchirurgie in Deutschland: Eine Real-World-Untersuchung anhand des Wirbelsäulenregisters der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft (DWG)
Herausforderung
Die COVID-19-Pandemie hat zu erheblichen Störungen in der Gesundheitsversorgung geführt. Wie sich die Pandemie auf die Wirbelsäulenchirurgie in Deutschland ausgewirkt hat, ist jedoch noch nicht im Detail anhand von multizentrisch erhobenen Daten untersucht worden.
Lösung
Zusammen mit Prof. Dr. Rolf Sobottke, Direktor des Zentrums für Orthopädie, Unfallchirurgie und Wiederherstellungschirurgie sowie Chefarzt der Klinik für Wirbelsäulenchirurgie, Neurochirurgie und spezielle Orthopädie am Rhein-Maas Klinikum, hat RAYLYTIC eine umfangreich Datenanalyse anhand des DWG-Patientenregisters durchgeführt.
Ergebnisse
Die Analyse zeigt nicht nur ein ausdifferenziertes Bild der Wirbelsäulenchirurgie unter Pandemiebedingungen, sondern liefert auch wertvolle wissenschaftliche Informationen zur evidenzbasierten Behandlung von bestimmten Krankheitsbildern während solch globaler Gesundheitskrisen.
Auszug
Die COVID-19-Pandemie hat zweifellos das Gesundheitswesen weltweit belastet. Schwerstkranke COVID-Patienten strömten in die Krankenhäuser und nahmen Ressourcen aus der akuten und elektiven chirurgischen Versorgung in Anspruch. Doch wie genau wirkte sich dies auf die wirbelsäulenchirurgische Versorgung in Deutschland aus?
Herausforderung: Große Störungen, unklare Effekte
Als die COVID-19-Pandemie im März 2020 in Deutschland in aller Heftigkeit ausbrach, waren ihre Auswirkungen in nahezu allen Aspekten des täglichen Lebens zu spüren. Betroffen war vor allem das Gesundheitswesen. Deutlich wurde, dass viele Gesundheitseinrichtungen nicht ausreichend vorbereitet waren, den dramatischen Anstieg kritisch kranker Patienten mit der routinemäßigen elektiven und akuten chirurgischen Versorgung in Einklang zu bringen.
Die immense Belastung von Versorgungsstrukturen hat schlussendlich zwei lang diskutierte Defizite im deutschen Gesundheitswesen bestätigt: den Mangel an Fachkräften und an Digitalisierung. Durch Lücken in der Digitalisierung gab es ebenso wenige Daten, die für die Priorisierung von chirurgischen Eingriffen sowie die angemessene Versorgung von Hochrisikopatienten herangezogen werden konnten.1
Ein Großteil der in Deutschland und weltweiten durchgeführten chirurgischen Eingriffe betrifft die Wirbelsäule. Während die Effekte der Pandemie auf bestimmte chirurgische Eingriffe an der Wirbelsäule, wie z.B. Fusion2, bereits untersucht wurden, besteht nach wie vor Forschungsbedarf für die deutsche Wirbelsäulenchirurgie in ihrer Gesamtheit.3
Lösung: Analyse des DWG-Registers
Um detailliertere Einblicke in die Auswirkungen der Pandemie auf die gesamte Wirbelsäulenchirurgie sowie auf die chirurgische Behandlung einzelner Erkrankungen der Wirbelsäule zu erhalten, hat RAYLYTIC in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Sobottke eine ausführliche Analyse der Daten aus dem Wirbelsäulenregister der DWG durchgeführt.
Mit über 150 teilnehmenden Kliniken und über 350.000 eingetragenen Datensätzen4 gehört das DWG-Register zu den größten Wirbelsäulenregistern Europas. Aufgrund des Datenumfangs eignete sich das Register also hervorragend für die Analyse.
Die Arbeit mit den Registerdaten war aber mit Herausforderungen verbunden. Um die Menge, Komplexität und Volatilität der Registerdaten zu bewältigen, mussten modernste Datenanalysemethoden herangezogen werden. Dazu gehörte die Berücksichtigung „identischer Kliniken“, also derjenigen Kliniken, die Daten ans Register sowohl vor (definiert als 2018-2019) als auch während (2020-2021) der Pandemie übermittelt hatten. Identifiziert wurden insgesamt 96 Kliniken. Die Analyse umfasste zudem einen Vergleich zwischen den durchgeführten Eingriffen nach Krankheitsbildern.5
Ergebnisse: Verwertbare wissenschaftliche Information für gefährdete Patientengruppen
Die Analyse zeigte, dass im Jahr 2022 weniger Eingriffe durchgeführt wurden als im Jahr 2019. Starke Abfälle der absoluten Zahlen korrelieren mit den Wellen der Pandemie. Im April 2020 gab es bis zu 1250, also rund 30%, weniger Eingriffe als im April 2019 – ein statistisch signifikanter Rückgang.
Nicht nur Patienten, die sich elektiven Eingriffen unterzogen, waren betroffen. Der Rückgang in den absoluten Eingriffszahlen galt auch für kritische Eingriffe. Kritische Entitäten, wie z.B. Tumore, Infektionen und Frakturen, waren in beiden untersuchten Pandemiewellen durch einen Rückgang der chirurgischen Eingriffe gekennzeichnet.
Diese Ergebnisse haben zu einer differenzierteren Darstellung der elektiven und akuten Wirbelsäulenchirurgie während der COVID-19-Pandemie geführt. Die Informationen, die aus der Analyse der komplexen Daten des DWG-Patientenregisters gewonnen wurden, könnten dazu beitragen, die Priorisierung von akuten und elektiven Eingriffen bei Notfällen im Gesundheitswesen zu untermauern. Zudem deuten sie auf eine notwendige Überprüfung der Gesundheitspolitik während Gesundheitskrisen, um die kontinuierliche Behandlung von Patienten mit akutem Bedarf sicherzustellen und Verzögerungen zu vermeiden, die zu unnötigem Leiden der Patienten und höheren Beschwerden führen können.
Die Ergebnisse der Analyse wurden aufführenden Konferenzen im Bereich Wirbelsäule und Orthopädie vorgestellt, unter anderem auf dem 73. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie 2022 in Köln sowie auf der Eurospine 2022 in Mailand, Italien und auf dem Jahreskongress der DWG 2022 in Berlin.
Ein besonderer Dank geht an Dr. med. Anas Afifi, Oberarzt der Klinik für Wirbelsäulenchirurgie, Neurochirurgie und spezielle Orthopädie des Rhein-Maas Klinikum GmbH.
1 https://www.aicgs.org/2021/11/challenges-for-the-german-healthcare-system-in-the-covid-19-pandemic-and-beyond/
2 Abduljawwad, Nehad et al. (2023): Effects of the COVID-19 Pandemic on Spinal Fusion Procedures for Spinal Infections in a Nationwide Hospital Network in Germany.
3 Sobottke R, Teuben M, Siewe J, Afifi A. (2022): Two years COVID-19 pandemic waves: The impact on volume of spine surgery in Germany : A German Spine Registry (DWG) analysis. Brain Spine. 2022;2:101004. doi: 10.1016/j.bas.2022.101004. Epub 2022 Oct 13. PMCID: PMC9558780.
4 https://dwg.memdoc.org/
5 Sobottke R, Teuben M, Siewe J, Afifi A. (2022): Two years COVID-19 pandemic waves: The impact on volume of spine surgery in Germany : A German Spine Registry (DWG) analysis. Brain Spine. 2022;2:101004. doi: 10.1016/j.bas.2022.101004. Epub 2022 Oct 13. PMCID: PMC9558780.