Das BMWi-Förderprojekt AIQNET hat sich demnach das Ziel gesetzt, medizinische Daten zum Nutzen der Industrie und der Kliniken intelligent auszuwerten. Hierfür müssen vorab jedoch rechtliche Hürden überwunden werden. Gegenwärtig setzt sich das Konsortium für eine Übertragung von klinischen Daten und deren datenschutzkonforme Erhebung ein und fordert seitens der Politik Rechtsklarheit.
Im Rahmen von Routineversorgungen werden in Kliniken täglich zahlreiche medizinische Daten erhoben. Diese bieten sowohl für Kliniken als auch für die Industrie ein enormes Potential in Bezug auf die medizinische Versorgung. Aus diesem Grund hat es das AIQNET-Konsortium zur Aufgabe gemacht, besagte medizinische Daten mithilfe intelligenter Software-Lösungen zu strukturieren und somit nutzbar zu machen. Dabei wird der Ansatz eines digital Ökosystems verfolgt: basierend auf der Anbindung an die IT-Systeme der Kliniken und einem flexiblen, interoperablen Datenmodell basierend auf dem FHIR-Standard, können Softwareanbieter hochspezialisierte Anwendungen für Klinik, Forschung und Industrie erstellen.
Durch die Zurverfügungstellung der Konnektivität und unterschiedlicher Basisfunktionen wird der Entwicklungsaufwand für Anbieter medizinischer Softwarelösungen erheblich reduziert. Zudem profitieren besonders Kliniken in verschiedenster Weise durch den Zugang zu modernsten Softwareanwendungen und eine stark vereinfachte Integration in bereits bestehende IT-Strukturen.
Aufgrund eingehender medizinischer Erkenntnisse aus den Daten zu Behandlung und Behandlungsergebnis, ist es möglich, Entscheidungen im Rahmen einer personalisierten Diagnostik und Therapie zu unterstützen. Hierzu werden multiple Datenquellen, zunehmend unter dem Einsatz von künstlicher Intelligenz, miteinander verknüpft und analysiert.
Darüber hinaus können Prozesse zur Erfassung und Analyse von Daten (Patientenbefragungen, Falldokumentationen, Diagnosen und administrative Prozesse) mithilfe einer Software automatisiert werden. Darüber hinaus profitiert sowohl die pharmazeutische als auch die Medizintechnik-Industrie von der automatisierten Datenerfassung und dem Zugriff auf bisher unzugängliche, fein-granulare medizinische Erkenntnisse. Hierdurch wird ermöglicht, höherwertige Versorgungsangebote zu entwickeln, die individuell auf Patienten zugeschnitten sind.
Des Weiteren kann die Medizintechnikindustrie mithilfe des AIQNET-Konsortiums ihren gesetzlichen Anforderungen aus der Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, EU-Verordnung 2017/745) gerecht werden.
Umfang der klinischen Daten zu MDR-Zwecken
Hersteller sind durch die Medical Device Regulation (MDR) dazu verpflichtet, eine kontinuierliche Beobachtung ihrer Produkte durchzuführen. Ein Großteil der dafür erforderlichen Daten kann bereits aus der Routineversorgung gewonnen werden. Ein weiterer Teil kann durch die Softwareanwendungen des AIQNET-Ökosystems extrahiert und erweitert werden.
Damit Daten innerhalb der Routineversorgung für MDR-Zwecke nutzbar gemacht werden können, muss zunächst Klarheit hinsichtlich Umfangs und Art der erforderlichen Daten geschaffen werden, was auf Seiten der Hersteller weiter für Unsicherheit sorgt. „Damit die Hersteller ihrer Pflicht effektiv und mit einer möglichst großen Sicherheit zur Akzeptanz von Art und Umfang der vorgelegten Daten nachkommen können, definieren wir aktuell zusammen mit einer wachsenden Zahl von Herstellern Produktgruppen und die jeweils notwendigen Daten.
Unser Ziel ist es, die abgestimmten Produktgruppen und jeweiligen Datenanforderungen in einem nächsten Schritt zur Konsensbildung unter den Benannten Stellen zuzuführen,“ so Frank Trautwein, Konsortialführer des AIQNET-Konsortiums.
Sicherheit für Kliniken schaffen
Hersteller sind sowohl auf die Erhebung als auch der Übermittlung solcher Daten durch die Krankenhäuser angewiesen, um diese verarbeiten zu können. Die Krankenhäuser müssen sich wiederum auf eine rechtlich wirksame Legitimation zur Erfassung und ggf. Weitergabe dieser Daten stützen können. Auf der Basis dieser Daten aus dem Versorgungsalltag soll so die Leistungsfähigkeit und Sicherheit von Medizinprodukten durch die Benannten Stellen geprüft werden. Dabei obliegt den jeweiligen Herstellern die Pflicht zur Sammlung und Übermittlung dieser Daten im Rahmen der laufend durchzuführenden „klinischen Bewertung“.
Die Krankenhäuser könnten sich für diese Aufgabe eventuell auf eine „implizite Unterstützungspflicht der Hersteller“, abgeleitet aus Art. 9 Abs. 2 lit. i DSGVO i.V.m. mit den einschlägigen Regelungen der MDR (Art. 61 MDR), berufen. Eine explizite Regelung hierzu gibt es nicht, so dass die gegenwärtige datenschutzrechtliche Unsicherheit in der Praxis zusätzliche Schritte erfordert (Einholung der Zustimmung des Patienten in jedem Einzelfall) und damit ausschließlich eine prospektive Erfassung von entsprechenden Daten analog zu klinischen Studien erforderlich macht.
Über 60.000 Medizinprodukte, für die gemäß MDR eine Marktbeobachtung auf dem Niveau klinischer Studien durchzuführen ist, sind aktuell beim Bundesamt für Arzneimittel registriert. Tatsächlich wurden in Deutschland bislang jährlich „nur“ ca. 1.500 klinische Studien angemeldet.
Mit Einführung der MDR ist der Bedarf an produktspezifischen klinischen Daten stark gestiegen, weshalb eine Erhebung dieser Daten in den klinischen Behandlungsablauf mit geringstmöglichen administrativem sowie ärztlichem Zusatzaufwand integriert werden muss. Anders ist die durch den Gesetzgeber festgelegte Steigerung der klinischen Datenerhebung um den Faktor 40 nicht realisierbar. Eine ausschließlich prospektive Erhebung der nun benötigten Datenmenge mit individuellen Studienprotokollen steht dem primären Versorgungsauftrag der Krankenhäuser entgegen und ist demnach im Alltag nicht umsetzbar.
Daten aus klinischen Registern stellen einen Baustein zur Bewertung medizinischer Produkte dar, können diese jedoch aufgrund der zeitlich verzögerten Bereitstellung und einer zu geringen Tiefe die Anforderungen der Hersteller nur teilweise abdecken. Das Konsortium hat folglich, unter besonderem Engagement von Universitätskliniken und der BG-Klinik Tübingen, die standardisierte, prospektive Erhebung MDR-relevanter Daten aus dem Versorgungsalltag zu Lösung der beschriebenen Problematik als einzig praktikablen Ausweg identifiziert.
Aufforderung an Politik und Verbände
Das Konsortium stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang sich ein Krankenhaus auf die Regelung zur Erhebung und Übermittlung produktgruppenspezifischer klinischer Daten zu Qualitätssicherungszwecken der Medizinproduktehersteller auf Art. 9 Abs. 2 lit. i DSGVO berufen kann.
Der Gesetzgeber hat nach Auffassung des Konsortiums mit der nationalen Umsetzung der Medizinprodukteverordnung versäumt, Anwendern und Betreibern medizinischer Produkte eine eindeutige Rechtsgrundlage zur Erhebung und Übermittlung besagter Daten an berechtigte Dritte zu schaffen. Folglich wird von der Politik gefordert, diesbezüglich Rechtssicherheit für die Kliniken zu schaffen, z. G. mithilfe einer entsprechenden Ergänzung der Medizinproduktebetreiberverordnung (MPBetreibV).
Des Weiteren erbittet das Konsortium die Mithilfe weiterer Medizinproduktehersteller, um Klarheit hinsichtlich Umfangs und Art der erforderlichen Daten zu schaffen. Somit kann es gelingen, umfänglich abgestimmte Produktgruppen und jeweiligen Datenanforderungen den Benannten Stellen zur Konsensbildung zuzuführen.
Weitere Informationen können Sie dem Positionspapier des AIQNET-Konsortiums entnehmen: https://www.digitale-technologien.de/DT/Redaktion/DE/Downloads/Publikation/KI-Inno/2021/2021_06_18_AIQNET_Positionspapier_final.html